Als mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 die besten Architekten aus Mitteleuropa in alle Welt fliehen mussten, brachten diese Immigranten wider Willen die Ideen der Moderne in die neue Welt und verhielfen ihr so zu einem ungeahnten internationalen Durchbruch – die Nazi-Politik erreichte also das genaue Gegenteil ihrer reaktionären Ziele: Besonders Amerika, das damals wie heute architektonisch hinter Europa hinterher hinkte, erwies sich als fruchtbarer Boden für die modernen Architekten wie Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe und Richard Neutra. Auch Marcel Breuer, der berühmteste Bauhaus-Designer, dessen Möbel-Entwürfe bis heute den guten Geschmack bei Interieurs prägen, baute nach dem zweiten Weltkrieg in Amerika mehr als je zuvor. Eines seiner größten Werke, ein Bankhochhaus in Cleveland/Ohio, soll nun ohne Not abgerissen werden. Die erregte Diskussion darum zeigt, dass sich nun, siebzig Jahre später, die Frage nach dem Umgang mit dem Erbe der Moderne in neuem Licht stellt: An keinem Gebäude wird dies deutlicher als an Breuers „Cleveland Trust Tower“: Dieser 29-stöckige Turm in bester Downtown-Lage ist das einzige Hochhaus, das Breuer entworfen hat. An seiner Stelle soll ein neues niedrigeres und überaus mediokres Regierungsgebäude nach Entwurf der Architekten Kohn Pedersen Fox gebaut werden. Örtliche Architekten und Denkmalschützer sind entsetzt. Denn auch wenn der Turm nicht zu den Höhepunkten in Breuers Werk zählt, „wirft man keine Picasso-Skizzen weg nur weil sie nicht so gut sind wie die Guernica”, so Louis Pounders vom American Institute of Architects, der sich für den Erhalt des Breuer-Turms stark macht.
Fertiggestellt wurde das Trust-Hochhaus 1971, genau ein Jahr also nachdem Breuers Plan für ein Hochhaus über dem Grand Central Terminal in Manhattan scheiterte und zum Wendepunkt des Denkmalschutzes in Amerika wurde. Beide Entwürfe sind frappierend ähnlich: Für die Fassaden der beiden Türme hatte Breuer bienenwabenförmige Fassaden vorgesehen. Breuers schwere, brutalistische Betonfassaden haben tiefe Fenster mit Nischen dazwischen, die innen Heizung und Klimaanlage aufnehmen. Beide sind strenger als Breuers skulpturaleres Spätwerk wie das Whitney Museum in New York etwa.
Heute ist der Denkmalschutz, der Breuers Grand-Central-Projekt einst bekämpfte, auf Breuers Seite. Das “National Building Museum” in Washington DC wird im November eine grosse Ausstellung über den 1981 verstorbenen Breuer eröffnen. Auch die Kuratorin, Susan Piedmont-Palladino, kämpft für den Erhalt von Breuers Turm in Cleveland und gegen „die Schaffung irreparabler Löcher in unserem gebauten Patrimonium“.
Ursprünglich hatte Breuer einen zweiten, spiegelgleichen Turm nebenan geplant. Er hätte ein neoklassizistische Gebäude an der Straßenecke, das George B. Post 1908 gebaut hat, auch auf der zweiten Seite umgeben. Dieser Kuppelbau soll auf jeden Fall erhalten blieben. Zum Bau der zweiten Hälfte von Breuers Hochhaus kam es jedoch nie, denn der Cleveland Trust wurde zum “Ameritrust” und fusionierte schliesslich in den 80er Jahren mit einer Grossbank. Der Turm steht seither leer. 2005 kaufte der Landkreis das Hochhaus und fünf Nachbargebäude und votierte für den Abriss. Die niedrigen Geschosshöhen im Breuer-Turm machen eine Umnutzung angeblich unmöglich. Der geplante Neubau soll nur ein Fünftel teurer sein als der Umbau. Asbestsaniert werden muss der Turm in jedem Fall, selbst vor einem möglichen Abriss. Hochschulen, Architektenverbände und Privatinitiativen legten Widerspruch ein und entwarfen Alternativen. Eine Studie beweist, dass das Haus umbaubar ist. Die drei Meter hohen Geschosse bieten sogar Raum für den vom Landkreis geforderten Doppelboden.
Der bauhistorische Verlust eines einzelnen Gebäudes wäre akzeptabel, wenn er nicht nur die Spitze eines Eisberges wäre, des Umgangs mit dem vernachlässigten Bauhaus-Erbe n in den USA. Es scheint, als hätte die Moderne jetzt erstmals einen Punkt erreicht, wo für jedes gute neue Gebäude, das neu gebaut wird, mindestens ein „altes“ Gutes verloren geht: Aus den USA, wo die Moderne einst ihren weltweiten Durchbruch erlebt hatte, wurden allein im letzten Jahr (drohende) Abrisse auch von Bauten von Richard Neutra und Paul Rudolph gemeldet, den besten Architekten ihrer Zeit. Selbst Alvar Aalto und Louis Kahn sind nicht davor gefeit, dass man ihre Werke leichtfertig abreißt oder entstellt, wie Aaltos Poetry-Room in Harvard oder Kahns Badehaus in New Jersey zeigen. Es ist nicht der allgemeine Hass auf die Architektur des Brutalismus, sondern auch allgemeine Ignoranz der Nachkriegsmoderne gegenüber und der kommerzieller Druck einer Wegwerfgesellschaft, der die Moderne gefährdet.
Der Cleveland-Trust-Tower ist nicht das einzige Gebäude in Amerika von Breuer, das vom Abriss bedroht ist: Auch die Gemeinde Grosse Pointe im US-Bundesstaat Michigan plant den Abriss ihrer Zentralbibliothek von Breuer aus dem Jahr 1953 - und den Neubau einer größeren Bücherei an selber Stelle. Zu ihrem Schutz hat sich eine Gruppe von Architekten gebildet, die sich „Modern Architecture Protection Agency (MAPA)“ nennt und wie in Cleveland einen Wettbewerb auslobte, der demonstrierte, dass sich auch dort die neuen Nutzungsanforderungen mit dem Erhalt des Breuer-Baus vereinbaren liessen.
Das ähnlich geartete „Recent Past Preservation Network“ kämpft derweil gegen den Abriss eines Richard-Neutra-Gebäudes in Gettysburg/Pennsylvania durch den „National Park Service“. In dem „Cyclorama Center“ von 1962 befindet sich ein grosses Diorama über den amerikanischen Bürgerkrieg. Es ist eines der wenigen öffentlichen Gebäude von Neutra an der Ostküste und gilt zugleich als eines seiner besten. Erst 1998 wurde es „wegen seiner historischen und architektonischen Signifikanz” zum Denkmal erklärt, aber auch das schützt vor Abriss nicht.
Noch schlimmer trifft es derzeit das Oevre von Paul Rudolph, einem Schüler von Gropius und Breuer, von dem gleich zwei seiner besten Werke abgerissen werden sollen: Das Micheels-Haus in Westport/Connecticut von 1972, eine Reihe raffiniert ineinanderverwobener Kuben, die an der Ostseite weit über einen Hang auskragt. Der Bauherr war damals Dr. Louis Micheels, Präsident der New England Psychoanalytic Society. Der heute 89 Jahre alte, in Holland geborene Auschwitz-Überlebende hatte mit seinem Buch „Doctor 117641: A Holocaust Memoir“ für Aufsehen gesorgt.
Die Riverside High School in Sarasota (Florida) von Rudolph soll ebenfalls abgerissen werden, um Raum für einen Parkplatz zu geben. Das 1958 errichtete Gebäude ist eines der wichtigsten Bauten der „Sarasota School“, mit der die Architektur in Florida von 1941-1966 bezeichnet wird. Die leichte Konstruktion aus Stahl, Glas und Ziegeln wird von weiten Dachüberständen und Sonnenblenden charakterisiert, die allein durch natürliche Ventilation und Tageslicht angenehmes Gebäudeklima erzeugten und damit heute wieder hochaktuell erscheinen.
Um Alternativen zum Abriss auch in Cleveland aufzuzeigen, hatte der örtliche Architekt David Ellison über 30 Architekten aus aller Welt dazu motiviert, alternative, teils polemische Entwürfe einzureichen. Giorgio Chiarello aus Venedig beispielsweise schlug vor, rote Boxen als Erweiterungen in die Fassade zu stecken, Jonathan Novak hingegen will anstelle der obersten Stockwerke Windturbinen aufstellen lassen und den Turm in umweltfreundliche Wohnungen verwandeln. Jede Umnutzung des intakten Gebäudes wäre umweltfreundlicher als ein Abriss und Neubau eines „grünen“ Gebäudes.
Den Abriss-Gegnern bleiben nur noch wenige Tage, um mindestens 46.000 Unterschriften für den Erhalt des Breuer-Turmes zu sammeln, der exemplarisch einen blinden Punkt im Denkmalschutz repräsentiert: Er ist weder neu genug um geliebt zu werden, noch alt genug, um geschützt zu werden. Jede Generation stösst sich am meisten am jüngeren Erbe der Elterngeneration.
Ulf Meyer (ca. 8.000 Zeichen)
Here [2] is a link provided by Mr. Meyer to http://www.architecture-in-berlin.com/ [2]
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[1] http://smtp.realneo.us/blog/jeff-buster/breuer-tower-reuse-concepts-from-around-the-world
[2] http://www.architecture-in-berlin.com/
[3] http://smtp.realneo.us/system/files/Breuer-and-Post-P1090162.gif
[4] http://smtp.realneo.us/events/cleveland-city-planning-on-breuer-teardown-may-2007
[5] http://smtp.realneo.us/content/saving-breuers-ameritrust-tower
[6] http://smtp.realneo.us/Cool-Cleveland-offers-another-proposal-for-the-Breuer